21 September 2006

Macht zuhören weise?

Einen wunderbaren Beitrag sendet heute der Verlag der Deutschen Wirtschaft in seinem Newsletter:

Liebe Leserin, lieber Leser,
wie bekommen Sie als Chefin oder Chef das zu hören, was Sie noch nie zuvor gehört haben? Ganz einfach: durch das Harun-al-Raschid-Prinzip. Kennen Sie nicht?

Doch, Sie kennen es mit großer Wahrscheinlichkeit. Denken Sie einmal an die Erzählungen aus "Tausendundeiner Nacht", die Ihnen als Kind Ihr Großvater beim Zubettgehen erzählt hat oder die Sie möglicherweise heute Ihren Kindern selbst als Gutenachtgeschichten vorlesen.
Also: Eines Tages sagte der Kalif Harun al-Raschid zu seinem Großwesir: "Heute Nacht habe ich nicht schlafen können. Zu viele Sorgen. Ich weiß überhaupt nicht, was mir noch Ruhe verschaffen könnte.

Wie lautet dein Rat?" Der Großwesir antwortete: "O Herr, es heißt, die Befreiung von Sorgen liegt in einem von drei Dingen: Entweder, dass man sieht, was man noch nie gesehen hat, oder man hört, was man noch nie gehört hat oder man betritt ein Land, das man noch nie betreten hat."
Nun war der mächtige Harun al-Raschid keineswegs ein Dummer. Er kannte genau die Topografie und Grenzen seines Landes, die Erträge der Felder, die Stärke der Truppen, die Höhe der Steuereinnahmen und die Zahl der Untertanen. Aber er begnügte sich lange Zeit mit diesem Wissen und er genoss seine privilegierte Stellung, das Maß aller Dinge zu sein, obwohl auch er genau wusste, dass außerhalb seines "goldenen Palastes" noch eine andere – vielleicht sogar die richtige – Realität existierte.
Bedrückt von wachsenden Sorgen entschloss sich der Kalif nun aber, dem Rat seines klugen Großwesirs zu folgen. Er verließ seinen Palast und streifte als Kaufmann verkleidet völlig unerkannt durch Straßen und über Plätze. Und siehe da, er hörte dabei gar wundersame Geschichten, die er nie zuvor gehört hatte – auch über sich und seine Regentschaft – und erkannte schließlich das wichtige Prinzip: "Man muss nicht besonders weise sein, um zuzuhören – aber man wird besonders weise, wenn man zuhört."
So, und was können wir aus "Tausendundeiner Nacht" lernen? Zunächst dies: Zuhören, zuhören, zuhören … Märchenhafte Paläste, in denen solitäre Chefs selbstverliebt ihren Gedanken freien Lauf lassen, gibt es nämlich reichlich auch in unserer modernen, schnörkellosen Industriewelt; in Fabriken, Banken, Institutionen, Universitäten und Verbänden.
Verlassen Sie vielmehr häufiger Ihren Chefsessel und gehen Sie unauffällig herum. Lassen Sie sich sozusagen im Vorbeigehen vorbehaltlos erzählen, was andere denken. Hören Sie sehr aufmerksam zu. Am Ende werden Sie vermutlich ein ganz anderes Bild im Kopf haben als das, das Sie bisher mit sich herumtrugen.
Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht darum, von anderen irgendwelche Daten für konkrete Entscheidungen einzufordern; also das Gegenteil von: Fakten, Fakten, Fakten … Wirkliche Informationen werden Sie vermutlich nur langsam bekommen, denn Sie müssen lernen, die Realität der anderen zu akzeptieren. Denken Sie an Harun al-Raschid: Erst das Zuhören macht weise. Was bedeutet dagegen schon Faktenwissen? Sehr treffend hat einmal der US-Computerexperte Clifford Stoll formuliert: "50 Megabyte Daten sind genauso wenig Informationen, wie 50.000 Tonnen Beton und Stahl ein Wolkenkratzer sind."

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